Der Fairtrade Jahresbericht 2023/24

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Fairtrade Deutschland e.V. hat das Ziel, Konsument*innen, Unternehmen und Produzent*innenorganisationen zu verbinden und Handel(n) durch bessere Preise für Kleinbauernfamilien, sowie menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Beschäftigte auf Plantagen in Ländern des globalen Südens, zu verbessern. Im aktuellen Fairtrade Jahresbericht wird Bilanz für das Jahr 2023 gezogen und auch die ersten Zahlen von 2024 betrachtet. Die wichtigsten Fakten und Entwicklungen – insbesondere in Bezug auf Kaffee – haben wir nachfolgend zusammengestellt.

Kurzgesagt: die wichtigsten Entwicklungen 2023 in Fairtrade Jahresbericht

In Deutschland – Fairtrades größtem Markt – ist der Umsatz mit Fairtrade-Produkten um 8,5 % gestiegen. Damit lag der pro Kopf-Konsum erstmalig bei über 30 Euro, was einem Gesamtbetrag von 2,6 Mrd Euro entspricht. Das Fairtrade-Siegel festigt zunehmend seine Präsenz und Matthias Lehnert (Aufsichtsratsvorsitzender) sprach in der begleitenden Pressekonferenz von Fairtrade als zivilgesellschaftliche Bewegung. Fast 600 Lizenzpartner*innen bieten Fairtrade-Produkte an, während sich 870 Fairtrade-Towns, 900 Fairtrade-Schools und 44 Fairtrade-Universities für die Initiative engagieren. Darüber hinaus ist das Fairtrade-Siegel bei 9 von 10 Verbraucher*innen in Deutschland bekannt.

Trotz dieser ermutigenden Nachrichten sei 2023 dennoch ein herausforderndes Jahr für Produzent*innen gewesen, erklärt Detlev Grimmelt (Vorstand Marketing und Vertrieb). Denn insgesamt wurde im letzten Jahr ein leichter Rückgang der Absätze, d.h. der verkauften Mengen, festgestellt. Dies war insbesondere im Lebensmittelhandel und Discountsektor zu beobachten, während in Drogeriemärkten und der Gastronomie eine Zunahme verzeichnet wurde. Die inflationsbedingten hohen Lebensmittelpreise haben sich auch auf den Konsum von Fairtrade Produkten ausgewirkt. Verbraucherpreise wurden in vielen Bereichen angehoben und die Preisabstände zwischen konventionellem und Fairtrade Kaffees waren im letzten Jahr sehr groß, z.B. aufgrund allgegenwärtiger Sonderangebote. Die Marktanteile von wichtigen Fairtrade-Produkten, wie z.B. Kaffee mit 5%, seien jedoch (auch aufgrund veränderter Marktgrößen) stabil geblieben.

Fairtrade Jahresbericht nach Produkten

Abb. 1: Top 5 Fairtrade Produktkategorien

Quelle: Fairtrade Deutschland e.V.

Wie steht es um Kaffee?

Bei isolierter Betrachtung von Kaffee zeigt sich ein ähnliches Verhältnis von Umsatz zu Absatz wie bei Fairtrade-Produkten im Allgemeinen. Kaffee rangiert vor Kakao, Bananen und Textilien als umsatzstärkste Fairtrade-Produktkategorie in Deutschland (s. Abb. 1). Der Umsatz von geröstetem Kaffee erreichte 2023 etwa 837 Millionen Euro, was einem Anstieg von 18,7 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Allerdings sank der Absatz von Fairtrade-Kaffee im Jahr 2023 um etwa 3,6 %, wobei rund 23.000 Tonnen verkauft wurden. Im Vorjahr waren es noch 24.000 Tonnen (s. Tabelle 1). In anderen Worten bedeutet dies: Mit weniger gehandeltem Kaffee wurde mehr Umsatz erwirtschaftet.

Fairtrade selbst erklärt, dass die Einkommen für Kaffeebäuer*innen trotz hoher Weltmarktpreise, 2023 trotzdem unter Druck blieben (vgl. Jahres- und Wirkungsbericht 2023/2024, S. 12). Auch deswegen erhöhte Fairtrade im August 2023 den Fairtrade-Mindestpreis um 29 % für Arabica-Kaffeesorten auf 1,80$/lb. Zum Vergleich: der Preis bei Angelique’s Finest liegt der Preis bei 5,20$/lb. Fairtrade berechnet die Referenzpreise regions- und branchenspezifisch, um die bestehende Lücke zu existenzsichernden Einkommen immer weiter zu reduzieren. Der Mindestpreis berücksichtigt dabei, welche Kosten gedeckt werden müssen, um ein Kilogramm Kaffee herzustellen – diese Kosten der nachhaltigen Produktion definieren den Mindestpreis. Was in der Rechnung nicht berücksichtigt wird ist beispielsweise, wie viele Menschen von diesem Kilogramm Kaffee leben müssen oder wie viel Fläche ein*e Bäuer*in besitzt, damit seine/ihre Familie überhaupt von der Landwirtschaft überleben kann. Es ist also zu hinterfragen, ob die von Fairtrade festgelegten Mindestpreise an die Bäuer*innen tatsächlich existenzsichernde Einkommen garantieren. In der berichtsbegleitenden Pressekonferenz gab der Vorstand jedoch eine zuversichtliche Prognose für 2024 ab. Denn zum einen sei Fairtrade gut positioniert, um Unternehmen hinsichtlich gesetzlicher Anforderungen (z.B. dem Lieferkettensorgfaltsgesetz) zu unterstützen, beispielsweise mit HREDD-Maßnahmen; zum anderen zeigt sich seit Mitte 2023 eine positive Trendwende des Absatzwachstums.

JahrAbsatz (in Tonnen)Veränderung zum VorjahrUmsatz (gerundet) (Euro)Veränderung zum Vorjahr
201922.88112%533.236.55513%
202024.1646%492.038.158– 8%
202124.4251,1%540.891.4729,9%
202224.057– 1,5%705.450.26730,4%
202323.190-3,6%837.130.50118,7%
Tab. 1: Marktentwicklung von Kaffee (geröstet) zwischen 2019 – 2023. 1

Exkurs: Wie beeinflusst ein volatiler Weltmarktpreis das Leben von Kleinbäuer*innen?

Der Weltmarktpreis für Kaffee war sowohl im letzten als auch in diesem Jahr sehr volatil. Gründe für Preiserhöungen auf dem Weltmarkt sind u.a. schlechtes Wetter (d.h., eine geringere Ernte), geopolitische Spannungen und Spekulationen an der Börse. Doch welche Auswirkungen hat dies auf Produzent*innen? Im Gegensatz zu großen Unternehmen können sich einzelne Kaffeebäuer*innen nicht gegen Preisschwankungen absichern. Die oligopolistische Struktur2 auf der Käuferseite zwingt Kleinbäuer*innen oft dazu, ihre Ernte zu den Bedingungen der Käufer*innen zu verkaufen. Sinkt der Weltmarktpreis, müssen Kaffeebäuer*innen ihre Produktionskosten decken und ihren Lebensunterhalt sichern, was zu finanziellen Belastungen und einem Zyklus der Verschuldung führen kann. Teilweise verkaufen sie ihren Kaffee sogar unter den Produktionskosten. Preisspitzen können zwar kurzfristige Gewinne bringen, aber auch langfristige Unsicherheiten verstärken, da die Gewinne nicht nachhaltig sind und die Abhängigkeit vom volatilen Markt verstärken.3 So konnten wir vor Kurzem auf unserer Ugandareise beobachten, dass derzeit viele Bäuer*innen neue Kaffeebäume pflanzen, da die Preise gut sind. Es gibt aber keinerlei Garantien, dass in drei Jahren, wenn die Büsche das erste Mal Kaffee tragen, die Preise wieder im Keller sind. Außerdem können hohe Weltmarktpreise auch die Attraktivität von Fairtrade-Programmen und Kooperativen für Kaffeebäuer*innen mindern, da die Preisunterschiede zwischen Fairtrade- und konventionellem Kaffee möglicherweise schrumpfen. In solchen Fällen entscheiden sich einige Kaffeebäuer*innen möglicherweise dazu ihre Kooperativmitgliedschaft aufzugeben, um kurzfristig höhere Gewinne zu erzielen und akute Kosten zu decken. Langfristig verstärkt dies jedoch den o.g. Teufelskreis und die Abhängigkeit vom Weltmarkt. Claudia Brück (Vorständin Kommunikation und Politik) erklärt, dass gerade im Kaffeebereich ein hoher Bedarf an innovativen Konzepten und Handelsmodellen besteht. Um eine nachhaltige Zukunft für alle Beteiligten im Kaffeesektor gewährleisten zu können appelliert sie an alle Akteur*innen entlang der Lieferkette, aktiv zu werden und langfristig zu investieren.
Hier fühlen wir uns natürlich angesprochen, da wir mit unserem Fairchain Konzept, d.h. die komplette Werstschöpfungskette liegt in der Verantwortung der Produzentinnen, genau dies schon seit Jahren praktizieren:

Kaffee-Kooperative und Fairtrade

Tatsächlich sprechen wir nicht nur über den aktuellen Jahres- und Wirkungsbericht, sondern wir sind auch Teil davon! Nämlich unter der Rubrik “Aktiv für den fairen Handel” (S.10). Die Handelspraktiken, die von Fairtrade angestrebt werden, setzen wir bereits um. Deswegen sind wir gemeinsam mit den FairActivists 300 km von Hamburg nach Berlin geradelt, um den Fairtrade-zertifizierten Klima-Kaffee von Angelique’s Finest umweltschonend von Hamburg nach Berlin zu bringen – und konnten so die Finanzierung von 500 Schattenbäumen für die Abizerwa Women Association sichern! Kleine Erinnerung: Gemeinsam mit den Fairactivists und der Abizerwa Women Coffee Association Rwanda sind wir für unsere Initiative auch für die Fairtrade Awards 2023 – Kategorie Climate Heroes nominiert! Wir freuen uns auf die Verleihung am 6.6.2024.

Fazit

Das Jahr 2023 war durchwachsen. Verschiedene Krisen, darunter geopolitische Konflikte, die Auswirkungen der Klimakrise und hohe Inflationsraten, beeinflussten in einem komplexen Zusammenspiel die drei Dimensionen, auf denen Fairtrade wirkt: sozial, ökologisch und ökonomisch. Erfreulicherweise war gleichzeitig ein hohes zivilgesellschaftliches Engagement festzustellen, dass sich in einem Rekord an Fairtrade-Towns und -Schools widerspiegelt. Außerdem hat Fairtrade zahlreiche Standards angepasst mit der Intention, dass Anforderungen an Themen wie Menschenrechte / HREDD so bearbeitet werden, dass auch die Rechteinhaber*innen davon profitieren können. Bei einem Blick auf die Zahlen für 2023 erlebt man das aktuelle Geschehen jedoch vielleicht als Déjàvu. Denn bereits im vergangenen Jahr berichtete unser Co-Founder Xaver im selben Kontext in einem LinkedIn-Post über das Phänomen steigender Umsätze bei gleichzeitig reduzierten Absätzen. Daher stellt sich auch in diesem Jahr erneut die Frage: Sind die Kaffeepreise überproportional gestiegen, weil die Weltmarktpreise so stark gestiegen sind (wovon die Kaffee Produzent*innen zumindest anteilig profitieren sollten) oder haben es die Kaffeemarken einmal mehr geschafft, ihre Gewinne überproportional zu steigern, indem sie mit weniger Kaffee, mehr verdient haben? Und wurden diese Gewinne fair mit den Produzent*innen geteilt?

  1. Fairtrade Deutschland e.V. Jahres- und Wirkungsberichte ↩︎
  2. Oligopol bezeichnet eine Marktform, bei der wenige Anbieter vielen, relativ kleinen Nachfragern gegenüberstehen. ↩︎
  3. Mit bitterem Beigeschmack: Faire Handelspraktiken und existenzsichernde Einkommen – eine Chance für den Kaffeesektor? (forum-fairer-handel.de) ↩︎

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